Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die ARAG SE Direktion für Österreich (ARAG) wegen Klauseln geklagt, auf die sich Rechtsschutzversicherer stützen, um Deckungen bei COVID-19-bedingten Rechtsstreitigkeiten (z. B. bei Reiserücktritt, Flugausfall, Veranstaltungsabsage) abzulehnen. Das Handelsgericht (HG) Wien erklärte diese Klauseln nun für gesetzwidrig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Laut den Rechtsschutzbedingungen der ARAG bestand weder ein Versicherungsschutz „für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind“ (Klausel 1 = Ausnahmesituationsklausel) „und Akten der Hoheitsverwaltung wie insbesondere Enteignungs-, Flurverfassungs-, Raumordnungs-, Grundverkehrs- oder Grundbuchsangelegenheiten;“ (Klausel 2) noch „für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit Katastrophen. Eine Katastrophe liegt vor, wenn durch ein Naturereignis oder ein sonstiges Ereignis dem Umfang nach eine außergewöhnliche Schädigung von Menschen oder Sachen eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht.“ (Klausel 3 = Katastrophenklausel).
Im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung zu derartigen Ausschlussklauseln beurteilte auch das HG Wien diese Klauseln als unzulässig. Das HG Wien erkannte in den beanstandeten Klauseln einen Verstoß gegen das Transparenzgebot. Der durch die Verwendung von unbestimmten Begriffen geschaffene weite Beurteilungsspielraum schließe es aus, dass Verbraucherinnen und Verbraucher Klarheit über ihre Rechte und Pflichten gewinnen können. Weil die „Ausnahmesituationsklausel“ aufgrund der fehlenden Umschreibung einer Ausnahmesituation potenziell auch Sachverhalte erfassen kann, die weit über den eigentlichen Zweck der Klausel hinausgehen, sah das HG Wien die Klausel zudem als gröblich benachteiligend an. In Verbindung mit der weiten und gleichzeitig intransparenten Definition einer Katastrophe wurde auch die „Katastrophenklausel“ vom HG Wien als gröblich benachteiligend beurteilt. Zudem widerspricht es laut Gericht eklatant den berechtigten Deckungserwartungen von Kundinnen und Kunden, wenn das gesamte Verwaltungsrecht vom Versicherungsschutz ausgenommen ist. Das HG Wien beurteilte daher auch die „Klausel 2“ als gröblich benachteiligend.
„Sowohl die ,Ausnahmesituationsklausel‘ als auch die ebenfalls unzulässige ,Katastrophenklausel‘ werden von vielen Versicherern herangezogen, um Konsumentinnen und Konsumenten die Rechtsschutzdeckung bei pandemiebedingten Rechtsstreitigkeiten zu verweigern. Nachdem bisher in sämtlichen Verbandsverfahren die Senate des Oberlandesgerichtes sowie zuvor die Erstgerichte vergleichbare Klauseln für unzulässig erklärt haben, untersagt erfreulicherweise auch das HG Wien der ARAG diese Klauseln“, kommentiert Mag. Marlies Leisentritt, zuständige Juristin im VKI, das Urteil. „Derzeit warten wir in Verbandsverfahren gegen andere Versicherer auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, der sich nun ebenfalls mit der ,Ausnahmesituationsklausel, und der ,Katastrophenklausel‘ auseinandersetzt.“
SERVICE: Das Urteil im Volltext gibt es auf www.verbraucherrecht.at/ARAG112022.